Warten auf MOSE

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Neun Schmiede gibt es in Venedig. Einer davon ist Renzo de Zorzi, 55. Seine Werkstatt hat er im Viertel Cannaregio. Was idyllisch klingt, hat einen erheblichen Nachteil: Regelmäßig werden die Arbeitsräume überschwemmt. Wenn in Venedig das Wasser über die Barrieren tritt, dann muss de Zorzi den Hammer ruhen lassen: „Im Lager schießt dann das Wasser in sieben Fontänen aus dem Fußboden nach oben,“

MOSE würde de Zorzi helfen. MOSE steht für „modulo sperimentale elettromeccanico“. Es handelt sich um eine Flutwehr, die Venedig vor Hochwasser schützen soll. Seit mehr als 30 Jahren wird diskutiert, fertigt ist das Mammutprojekt immer noch nicht. Es dürfte sich weiter verzögern. Rund um MOSE tobt ein Korruptionsskandal. Firmen sollen Politiker geschmiert haben, um sich einen möglichst großen Anteil an den Projektmilliarden zu sichern. Es ist beileibe nicht der einzige Fall. Auch bei der Weltausstellung Expo 2015, die im kommenden Jahr in Mailand stattfindet, folgt eine Enthüllung nach der anderen.

Warum ist Italien so anfällig für Bestechungsaffären? Der Journalist Giorgio Barbieri und der Ökonom Francesco Giavazzi geben in ihrem kürzlich erschienen Buch „Corruzione – a norma di legge“ (Rizzoli, 2014) teils überraschende Antworten. Eine ihrer zentralen These lautet: Korruption gedeiht in Italien, weil bei großen Bauprojekten aufs Tempo gedrückt wird. Die Regeln werden so festgelegt, dass die Bürokratie ausgehebelt wird.

Das Grundübel des Großprojekts MOSE – es kostet den Steuerzahler bislang mehr als 6 Milliarden Euro – verorten die Autoren Barbieri uund Giavazzi in den 80er-Jahren. 1982 schließen sich die Firmen Fiat-Impresit, Iri-Italstat, Mazzi, Lodigiani, Maltauro und mehrere Genossenschaften zu einem Konsortium zusammen, dem „Consorzio Venezia Nuova“. Ein Spezialgesetz aus dem Jahr 1984 schanzt dem Konsortium das Monopol für die MOSE-Arbeiten zu.

Internationale Ausschreibung? Nicht erwünscht. Das Hauptargument liefert der damalige Arbeitsminister Gianni De Michelis. In einem Zeitungsinterview sagt er über das Spezialgesetz: „Das ist ein Gesetz, das weniger methodisch als vielmehr operativ ist. Das Geld wird sofort eingesetzt.“ De Michelis gehört der Regierung von Sozialist Bettino Craxi an. Wie später seine Nachfolger Silvio Berlusconi und der amtierende Matteo Renzi, präsentiert er sich als Entscheider. „Politica del fare“, „Politik des Machens“ lautet damals der Schlachtruf.

Die Ironie der Geschichte: Obwohl alles so schnell ging, ist MOSE immer noch nicht fertig. So langsam kann schnell sein.

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