Reiches Sankt Moritz, armes Sankt Moritz

2014_12_08_sankt_moritz

Der Skiort Sankt Moritz im Engadin ist weltberühmt für Gutbetuchte wie Gunter Sachs, die Kaviar essen und ein Cüpli trinken. Weniger bekannt im Ausland ist die Finanzlage des Nobelorts. Die Gemeinde schreibt rote Zahlen. Für das kommende Jahr wird ein Haushaltsdefizit von 6,5 Millionen Schweizer Franken (5,4 Millionen Euro) veranschlagt. Es muss gespart werden. „Spending Review“ in Sankt Moritz.

Die Schweiz wird im Zuge der europäischen Schuldenkrise gerne als ein Hort der Stabilität dargestellt. Doch stimmt das überhaupt noch? Die Zweifel wachsen jedenfalls. In der Eidgenossenschaft geht es seit mehreren Jahren drunter und drüber. Das Ausland, allen voran die Vereinigten Staaten, hämmern auf die Überreste des Bankgeheimnisses ein und machen Jagd auf Steuerhinterzieher,die ihr Geld auf Schweizer Konten vor dem Fiskus verborgen haben.

Im Inland bricht sich eine Gerechtigkeitsdebatte ihren Bahn. Im Rahmen von Volksinitiativen und Referenden werden Top-Manager als Abzocker gebrandmarkt, Gehaltsobergrenzen sowie Mindestlöhne gefordert und die Zuwanderung in Frage gestellt. Die einst so liberale und wirtschaftsfreundliche Schweiz rückt politisch nach links, die Standortattraktivität sinkt.

Sankt Moritz bekommt das alles zu spüren. Der Ort mit seinen 5700 Einwohnern muss eine Infrastruktur (Straßen, Skilifte, öffentlicher Verkehr, Energie) für 25.000 Personen vorhalten. Das konnte sich der Ort leisten, denn er lebte lange gut von einem Immobilienboom. Viele Vermögende kauften sich ein hübsches Anwesen für die Ferien. Doch dann wurde die Zweitwohnungsinitiative angenommen, die die Zahl der Zweitwohnungen deutlich begrenzt. Seitdem wird weniger ge- und verkauft und weniger gebaut. Tote Hose auf dem Häusermarkt.

Ende November hätte es noch schlimmer für Sankt Moritz kommen können. Da stimmten die Schweizer über die Abschaffung von Steuerprivilegien für vermögende Ausländer ab. 105 Personen kommen in Sankt Moritz den Genuss dieser Pauschalbesteuerung, bei der die Steuerschuld nicht nach dem Einkommen, sondern nach dem Aufwand für die Lebensführung bemessen wird.

Die Pauschalbesteuerten tragen rund ein Drittel des Steueraufkommens der natürlichen Personen bei. In absoluten Zahlen: 6 Millionen Franken. Hätten die Schweizer die Volksinitiative angenommen, wäre es nicht ausgeschlossen gewesen, dass ein Großteil der Gutbetuchten dem Ort Lebewohl gesagt hätte. Mit entsprechenden Folgen für die Gemeindefinanzen. Die Schweizer lehnten die Volksinitiative ab – und ersparten Sankt Moritz anlässlich des 150-jährigen Jubiläums als Wintersportort eine ernsthafte Haushaltskrise. Auf diesen Schreck erst mal ein Cüpli!

Hier die komplette Reportage, die in der „Welt“ erschienen ist: 2014_11_28_sankt_moritz_reportage

Beitrag teilenShare on FacebookTweet about this on TwitterEmail to someone
Download PDF